Montag, 23. Dezember 2019

Für eine geschlechtergerechte Sprache

 

Frauen machen aktuell 49,6 % und Männer 50,4 % der Weltbevölkerung aus. In Deutschland kommen auf 100 Frauen 96,8 Männer. Kein großer Unterschied, eigentlich? Oder doch? Doch, denn es gibt immer noch zu viele Unterschiede, dort wo Gleichbehandlung gelten sollte. Zum Beispiel in unserer Sprache.

Bis 1977 durften verheiratete Frauen nur mit Zustimmung ihres Mannes berufstätig werden und erst ab 1962 durften Frauen in Deutschland ein eigenes Bankkonto haben. Dank Gesetzesänderungen hat sich das mittlerweile verändert. Geht doch. Unsere deutsche Sprache aber, hat sich leider noch nicht ausreichend verändert. Immer noch wird zu viel in Männersprache gesprochen, dort wo Frauen und Mädchen angesprochen werden sollten. Schlimm? Vielleicht nicht schlimm, aber ausgrenzend und verhindernd! Aber lest bitte weiter.

Durch den Sprachgebrauch entstehen Bilder in unserem Kopf. Wenn z.B. von Ingenieuren die Rede ist, fühlen sich weniger Mädchen und Frauen angesprochen, als wenn von Ingenieurinnen und Ingenieuren gesprochen wird. Dann schätzen Mädchen typisch männliche Berufe eher auch als für sich erreichbarer ein. Das hängt damit zusammen, dass wir sofort Bilder im Kopf entwickeln, die genauso wirkungsvoll sind wie echte Bilder. Ich habe Anfang der 1970er Jahre als 12 jähriges Mädchen in Hamburg die erste Busfahrerin gesehen und dachte, oh wow, geht ja auch. Nicht, dass ich das unbedingt hätte werden wollen. Aber die Möglichkeit zu haben, darum ging und geht es auch heute noch!



Sprache beeinflusst unser Denken

Durch Sprache entstehen Bilder in unseren Köpfen. Nicht umsonst habe ich mal diesen schönen Satz gelernt, „Sprache schafft Bewusstsein“. Werden nur Jungs oder Männer genannt, spiegelt sich das in unseren gedanklichen Vorstellungen wieder. 


Sprachrätsel und Denkfehler

Vater und Sohn fahren im Auto. Sie haben einen schweren Unfall, bei dem der Vater sofort stirbt. Der Junge wird mit schweren Kopfverletzungen in ein Krankenhaus gebracht, in dem ein Chef-Chirurg arbeitet, der ein bekannter Spezialist für Kopfverletzungen ist. Die Operation wird vorbereitet, alles ist fertig, als der Chef-Chirurg erscheint, blass wird und sagt: "Ich kann nicht operieren, das ist mein Sohn!"
Frage: In welchem Verwandtschaftsverhältnis stehen der Chirurg und das Kind?"
Lösung: Der Chirurg ist die Mutter des Kindes also eigentlich die Chirurgin



In einem inzwischen vielfach wiederholten Experiment wurde eine erste Gruppe nach berühmten Politikern, Sportlern, Schriftstellern, Malern usw. befragt und die zweite Gruppe nach berühmten Politikerinnen und Politikern, Sportlerinnen und Sportlern, Schriftstellerinnen und Schriftstellern, Malerinnen und Malern usw. Die Ergebnisse zeigten: in der zweiten Gruppe gab es bis zu einem Drittel mehr Nennungen von Frauen als in der ersten Gruppe
(Elke Heise, 2000; Dagmar Stahlberg und Sabine Sczensy, 2001).

„Bereits um 1840 schrieben Mathematiker die ersten Computerprogramme - diese Formulierung lässt vermuten, dass ausschließlich Männer gemeint sind. Dabei bleibt unerwähnt, dass das allererste Computerprogramm von der britischen Mathematikerin Ada Byron, Lady Lovelace (1815-1852) geschrieben wurde.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht nur ein Gebot der Höflichkeit, mit und über Menschen so zu sprechen, dass alle Geschlechter genannt sind. Es ist eine Notwendigkeit, um Chancengleichheit zu erlangen. Was spricht dagegen, die Möglichkeit der Sprache zu nutzen, um sichtbar zu machen, dass ein Pilot eine Pilotin sein kann und der Streik von Erziehern in der Regel ein Streik von Erzieherinnen ist. 


„Männer werden fast immer richtig eingeordnet, Frauen fast nie, denn in unserer Sprache gilt die Regel: 99 Sängerinnen und ein Sänger sind 100 Sänger.“ Das sagt die Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch.
Wieso eigentlich? Die ausschließliche Verwendung männlicher Sprachformen ist noch immer sehr geläufig und wir Frauen und Mädchen sollen uns immer ganz selbstverständlich mit angesprochen fühlen. Wenn jedoch nicht mehr von Direktor und Putzfrau die Rede ist, sondern von Leitung und Putzkräften, verändert sich auch unser Bild davon, wer in unserer Gesellschafft welche Rolle übernehmen kann.
Und um die Wirkung der Sprache bewusst zu machen, formuliere ich eine Einladung mal gänzlich in weiblicher Form und dann schauen wir mal, ob sich Jungs ebenso angesprochen fühlen, wie das für Mädchen die Regel sein soll. Wenn ich beispielsweise alle Schülerinnen einladen würde, an dem Treffen in der Sporthalle am Nachtmittag teilzunehmen, glaubt ihr, dass die Jungs sich da auch mitangesprochen fühlen. Wohl eher nicht, oder?


 Das wird aber zu kompliziert

Sprache ist doch flexibel und verändert sich immerzu. Wir alle reden heute von „googeln“ und „simsen“. Wörter, die ziemlich neu sind in unserer Sprache. Die Welt verändert sich und damit auch die Sprache oder wer von euch kennt noch das Wort „Oheim“. Das ist ein veraltetes Wort für den Onkel mütterlicherseits, das im vorletzten und Anfang des letzten Jahrhunderts ein ganz normales Wort war, das die meisten kannten.
Es ist wie so oft: Wenn etwas schon länger vorhanden ist, dann können wir uns nur schwer vorstellen, es vielleicht zu ändern. Trotzdem sollten wir es tun! Es ist eine Anstrengung, aber es lohnt sich!


Mädchen sprechen Frauensprache / Eine Umkehrung

Wenn ihr euch traut, in Gruppen, in denen auch Jungs und Männer anwesend sind, nur in weiblicher Form zu sprechen, erzeugt das eine absolut große Irritation. Versucht mal Jungen oder Männer in weiblicher Form, also dem generischen Femininum anzusprechen. Wenn du deinen Mitschüler Paul ansprichst, er sei ja wie du auch Schülerin, wirst du wohl große Augen und Irritation ernten. Wieso eigentlich? Wir sind es als Frauen und Mädchen gewohnt, mitgemeint zu werden. Warum sollen nicht auch mal Männer und Jungs mitgemeint sein. Wie fühlt sich das dann für sie wohl an? Ich weiß, dass ist letztendlich keine Lösung. Aber auf jeden Fall löst es (hoffentlich) Nachdenken aus. Ist doch  schon mal was!


Demokratisch schreiben

Die Nennung aller Geschlechter drückt die Gleichbehandlung von Frauen, Männern und diversen Menschen als demokratisches Prinzip aus. Entsprechend drückt eine gendergerechte Sprache Wertschätzung gegenüber allen Menschen aus. Im Artikel 3 des Grundgesetzes sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Der Absatz 2, der besagt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind, wurde im Oktober 2017 durch das Bundesverfassungsgericht dahingehend korrigiert, das der alleinige Männer- und Frauenblick überholt ist und  endlich auch „diverse“ Menschen in den Blick kommen und wahrgenommen werden.


Wo sind die Vorbilder?

Ich würde mir endlich mal wünschen, dass Politik, Medien, Leitungskräfte eine Vorbildfunktion einnehmen und sich bemühen, eine neue geschlechtergerechte Sprache zu sprechen. Anstrengend? Ja, ich weiß. Aber wie viele z.B. technische Erneuerungen wurden belächelt und sind heute aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Ich denke, bei dem Versuch, geschlechtsbewusst zu sprechen, ist viel eher das Wollen wichtig. Und die, die es versuchen, ernten oft ein offensives oder inneres Augenrollen. Und wenn Frauen und Mädchen dann andere Frauen und Mädchen augenrollend abtun, nach dem Motto, ist doch nicht so wichtig, dann ist das besonders unverständlich. 


Wenn ihr euch traut, nervt ihr auch

Es erfordert Mut und einen langen Atem, immer wieder einzufordern, dass eine Schülerin eine Schülerin ist und kein Schüler, eine Auszubildende eine Auszubildende und kein Auszubildender, eine Studentin eine Studentin und kein Student. Wir sind damit aufgewachsen, mitgemeint zu sein und eine andere Sprache einzufordern macht uns unbequem und lästig. Aber nur, wenn wir eine andere geschlechtsbewusste Sprache einfordern, passiert Veränderung. Dabei ist nicht jeder Tag dafür geeignet, in die Spracharena zu gehen, und etwas einzufordern, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Aber an guten Tagen, an denen wir uns stark fühlen und vielleicht auch andere Mitstreiterinnen um uns wissen, sollten wir es tun. Und wir sollten uns gegenseitig darin stärken, geschlechtsbewusst zu sprechen.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (Link einfügen) und in der Datenschutzerklärung von Google .